Flutwelle in Zandvoort: Was ist ein Meteotsunami?

Am Montag kam es im niederländischen Zandvoort zu einer plötzlich auftretenden Flutwelle. Was steckt dahinter?

Ein Video geht derzeit durch das Netz, das zeigt, wie eine meterhohe Flutwelle am Montagmorgen Teile des Strandes von Zandvoort in den Niederlanden überflutet. Die Medien bezeichnen ihn gerne als "Mini-Tsunami", tatsächlich wird dieses Phänomen als Meteotsunami bezeichnet. Hier das Video der Welle:

Meteotsunami: Gleiches Phänomen, viele Namen


Meteotsunami in Zandvoort, Niederlande am 29.05.2017

Wie man in dem Video sieht, ist die Bezeichnung Tsunami schon durchaus naheliegend, denn Frequenz und Wellenhöhe erinnern schon stark an die Wellen, die durch Erdbeben ausgelöst werden. Allerdings vergessen wir bitte gleich wieder das Wort "Mini-Tsunami". Die Presse neigt offenbar dazu, unerklärliche Dinge, die hierzulande bitte nicht so stark sein mögen, mit dem Vorwort "Mini-" zu verschandeln. In der wissenschaftlichen Literatur wird der Ausdruck Meteotsunami benutzt, das ist eine Kurzform von Meteorologischer Tsunami und wurde von A. Defant im Jahr 1960 eingeführt (Physical Oceanography, Vol. 2).

Gemeint ist hiermit, dass die Anregung der Oberflächenwellen von Prozessen in der Atmosphäre verursacht wird, genauer gesagt durch Druckschwankungen. Zudem ist die Entstehung eines Meteotsunamis deutlich von Form und Länge des entsprechenden Küstenabschnitts abhängig und tritt somit nur an bestimmten Orten auf. Und wie es oft so ist, haben solche Haus- und Hofwellen entsprechend lokale Bezeichnungen wie Abiki in der Bucht von Nagasaki (Japan) oder Rissaga in der Bucht von Cituadela auf Menorca. Doch der Reihe nach:

Unwetter trifft Wasser

Wind regt das Oberflächenwasser zur Schwingung an. Genauer: Druckveränderungen regen es an. Eine Wassersäule von 1 Zentimeter Höhe entspricht dabei einem Druck von 1 hPa, mit anderen Worten: eine Druckänderung von 1 hPa kann den Wasserspiegel um 1 cm nach oben oder unten verändern. Das ist sicherlich nicht viel und wird noch niemandem die Panik in die Augen jagen. Nun stellen wir uns aber vor, ein Unwetter zieht über das Meer. Bei einem organisierten Gewitter, einer Superzelle mit entsprechenden Fallböen, kann in kurzer Zeit auch eine Luftdruckänderung von 4 hPa auftreten, würde also einer Änderung von 1 bis 4 cm entsprechen (theoretisch kann die Luftdruckänderung auch noch größer sein, aber für eine Wellenanregung brauchen wir die Änderung schon über ein paar Minuten und über eine größere Fläche hinweg). Also auch bei 4 cm ist noch kein Grund zur Beunruhigung angesagt.

Grundprinzip: Resonanz

Damit die Welle nun noch höher ausfallen kann, muss sie durch Resonanz überhöht werden. Damit das klappt, muss die Druckschwankung mit ähnlicher Geschwindigkeit und Richtung stattfinden wie die Wellen, die sie erzeugt. Zugegeben, das kommt nicht allzu häufig vor, ist aber eben möglich. In dem Fall ist eine Überhöhung um etwas das Zehnfache durchaus möglich. Damit wären wir nun bei maximal 40 cm Wellenhöhe. Das ist schon spürbar, aber nicht dramatisch.

Der nächste Schritt: die Welle läuft auf das flachere, ufernahe Gewässer zu, wodurch sich die Wassersäule reduziert. Durch diese Shelf-Verstärkung kommt es zu einer weiteren Erhöhung der Welle, um die Rate, mit der der Meeresgrund ansteigt. Das Entscheidende für wirklich hohe Wellen im Hafen- oder Buchtbereich ist aber die Seiche. Seichen sind stehende Wellen, die in Buchten, Hafenbecken oder anderen abgeschlossenen Uferbereichen entstehen durch Hin- und Herschwappen des Wassers, ähnlich wie in einer Badewanne. Wenn nun die durch das Unwetter angeregte Welle mit der Eigenfrequenz in die Bucht schwappt, mit der das Wasser dort hin- und herschwappt, kommt es zu einer weiteren Resonanz, die bei passenden Bedingungen diese Welle weiter überhöhen kann und dann aus 4 cm Höhe über 100 cm Höhe produzieren kann.

Selten und kaum vorhersagbar

Da hier alles zusammenpassen muss: Windstärke, Frequenz, Geographie - sollte schon klar sein, warum Meteotsunamis ein sehr seltenes Phänomen sind (an der Adria treten stärkere Meteotsunamis über 1 m Wellenhöhe etwa alle 1 bis 2 Jahre auf). Zurück zum Video aus Zandvoort: Was mir dort fehlt ist noch das charakteristische Zurücklaufen des Wassers, bevor die Welle auftrifft. Bei stark ausgeprägten Ereignissen ist dabei schon vor Eintreffen der Welle der ganze Hafen zunächst trocken gelegt worden, bevor er überschwemmt wurde. Auch die Vorhersagbarkeit ist sehr begrenzt, da keine Prognose so genau ist, auf Meter pro Sekunde genau die Geschwindigkeit einer Druckschwankung zu berechnen, und auch die Eigenfrequenzen in den Küstenabschnitten können sich verändern. Hier übrigens zur besseren Illustration ein weniger spektakuläres, aber nachvollziehbareres Video eines Meteotsunamis (Rissaga) aus Menorca: