Die Heinrichsflut - heute vor 50 Jahren
Meterhoch überschwemmte Straßen, Murenabgänge und eingerissene Brücken kennt man normalerweise eher aus den Alpen oder an großen Flüssen. Doch unter anderem die Einwohner von Nordhessen, Südniedersachsen und Ostwestfalen, vor allem aus dem Kreis Paderborn, wurden heute vor 50 Jahren von der Heinrichsflut überrascht, dem bisher schlimmsten Unwetter der Region.
Die vergessene Flut-Katastrophe
Überregional ist die Heinrichsflut nicht besonders bekannt. Dies ist wahrscheinlich auf den relativ eng begrenzten geographischen Raum zurückzuführen, in dem sie die größten Schäden verursacht hat. In Intensität und Schadenspotenzial ist sie jedoch durchaus mit anderen Katastrophen wie der Hamburger Sturmflut 1962 oder den Oder- und Elbehochwassern dieses Jahrhunderts zu vergleichen. Daher ist es am 50. Jahrestag mir als gebürtigem Paderborner ein Anliegen, dieses Ereignis heute etwas näher zu beleuchten.
Denn Schwerpunkt dieser Katastrophe war insbesondere der Kreis Paderborn, betroffen waren aber auch Teile von Nordhessen und Südniedersachsen bis hin zum Gebiet der DDR im Bereich der heutigen Bundesländer Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Insgesamt 16 Menschen ließen bei der Flut ihr Leben.
Plötzliche, meterhohe Flutwellen
Die Flutkatastrophe entstand aus einer ungünstigen Kombination aus nasser Vorwitterung, extremen Niederschlägen und geographisch-geologischen Besonderheiten in dem betroffenen Gebiet. Erste Unwetter mit wolkenbruchartigem Regen gab es bereits am 15. Juli, dem Heinrichsfest. Der Höhepunkt des Starkregens ereignete sich aber in der ersten Tageshälfte des 16. Juli, laut Spiegel-Bericht prasselten in nur 24 Stunden 136,3 Liter auf den Quadratmeter auf Paderborn - das etwa 1,5-fache der durchschnittlichen Menge des gesamten Monats Juli.
Die Wassermassen ließen die Kanaldeckel in die Höhe schießen und große Teile der Innenstädte von Paderborn, Lippstadt und Kassel überfluten, mit beträchtlichen Schäden. Insbesondere war es aber die nachfolgende Flutwelle, die viele hundert Menschen von der Außenwelt abschnitten und einige mit in den Tod rissen. Insbesondere die Flüsse Pader, Alme, Diemel, Lippe, Twiste und Altenau schwollen in kurzer Zeit von eher kleinen Bächen zu meterbreiten und -hohen Strömen an.
In der Ortschaft Etteln bei Paderborn wurden die Einwohner in kürzester Zeit von der Flut überrascht, als eine das Wasser aufhaltende Mauer dem Wasserdruck nachgab. Die nachfolgende Flutwelle erreichte den Ort so schnell, dass viele sich nur noch auf Bäume und Dächer retten konnten und dort 17 Stunden ausharren mussten. Allein dort ertranken fünf Menschen. Auch in dem Paderborner Stadtteil Schloß Neuhaus wurde man von den Fluten eingeschlossen, dort kamen zwei Menschen ums Leben. Die Flut hatte zudem Überland-Telefonleitungen und Stromleitungen zerstört, sodass viele im Dunklen saßen, 40 Brücken stürzten ein, der Bahnverkehr war unterbrochen. Insgesamt wird ein dreistelliger-DM-Millionenbetrag als Schaden geschätzt. Das Augenzeugenvideo aus Boke bei Delbrück des zurückgehenden Pegels lässt den Schaden nur erahnen. Bildmaterial gibt es im Internet vor allem bei der Feuerwehr Delbrück und dem Kreisfeuerwehrverband Paderborn zu sehen.
Bildmaterial der sich zurückziehenden Heinrichsflut aus Boke bei Delbrück, Ostwestfalen 1965
Wetterlage
Wie kam es zu diesen extremen Bedingungen? Das Frühjahr sowie der Beginn des Sommers 1965 waren sehr kühl und niederschlagsreich. In der beginnenden zweiten Dekade war das Wetter in Deutschland zweigeteilt - nach Südosten hin überwog Hochdruckeinfluss, während atlantische Tiefs immer wieder über den Westen und Norden Deutschlands mit kühler Meeresluft hinweg zogen.
Am 14. Juli kam es über Westeuropa zu einer Austrogung - auf der Rückseite eines Tiefs bei Irland wurde kühle Meeresluft in Richtung Bretagne gelenkt, während auf der Vorderseite gleichzeitig feuchte und warme Luftmassen über Deutschland weiter nordwärts vorankommen konnten. Weiter nördlich über Skandinavien traf diese dann wieder auf kältere Luft. Wichtig aber ist, dass es zum 15. Juli hin zur Bildung eines Kaltlufttropfens in der höheren Atmosphäre kam. In der Höhe befand sich also ein abgeschlossener Bereich kalter Luft, und dieser zog vom Ärmelkanal in den Südwesten Deutschlands.
Dadurch konnte die warme und mit viel Wasserdampf versorgte Luft in Bodennähe leicht aufsteigen und sich abkühlen, folglich der Wasserdampf kondensieren. Man kann sich das so vorstellen, als ob man einen voll aufgesogenen Schwamm über der entsprechenden Region ausdrückt. Es kam zu teils länger andauerndem, schauerartig verstärktem und gewittrigem Regen mit den entsprechenden extremen Mengen. Dabei konnten die bereits gesättigten Böden nach der niederschlagsreichen Vorwitterung das Wasser nicht mehr aufnehmen.
Geographische Besonderheiten
Verschärfend kamen einige geographische und geologische Besonderheiten der Region hinzu. Zum einen befindet sich die Paderborner Hochfläche nach Süden hin durch das Rothaargebirge, nach Osten hin durch Eggegebirge und Teutoburger Wald in einer "Kessellage", sodass sich die Niederschläge um die Mittagsstunden des 16. Juli 1965 vor allem dort verstärken konnten.
Zum anderen ist die Paderborner Hochfläche die größte Kalk- und Karstlandschaft Westfalens. Eine Karstlandschaft ist geprägt durch unterirdische Höhlensysteme, die nach dem regenreichen Frühling bereits reichlich mit Wasser gefüllt waren. Die entsprechend entwässernden Karstquellen brachen bei den Wolkenbrüchen dann gemeinsam aus, hinzu kam der Wasserabfluss der Oberfläche. All diese Wassermassen ergossen sich gleichzeitig in die Flüsse. Teilweise stürzte das Wasser auch direkt die Hänge als Sturzfluten hinab und ergossen sich ins Tal. Verschärfend kam die Situation an einigen künstlich begradigten Flussläufen hinzu.
Die Lehren aus der Katastrophe: in viele Flussläufe wurde nach der Heinrichsflut eingegriffen, teilweise wurden sie vertieft und kanalisiert. Allein im Kreis Paderborn wurden neun Rückhaltebecken neu gebaut, zwei weitere bei Lippstadt mit Gesamtkosten von 44 Millionen Euro.
Zum 50. Jahrestag soll eine 2,50 m hohe Stele in dem besonders schwer betroffenen Ort Etteln an die Flutkatastrophe erinnern.