Edward Lorenz tot

Der Meteorologe, Chaosforscher und Entdecker des "Schmetterlings-Effekts" starb mit 90 Jahren

Der studierte Mathematiker verstarb am 16. April mit 90 Jahren an seinem Krebsleiden in Cambridge, Massachusetts in den USA. Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass er mit seiner Chaos-Theorie das bisherige Verständnis der Meteorologie, der Mathematik und nachfolgend vieler weiterer Naturwissenschaften revolutionierte. Er wies nach, dass chaotische Systeme, wozu auch und insbesondere das Wetter gehört, nie exakt vorhersagbar sind und sein werden.

Edward Norton Lorenz (geboren 23.5.1917) studierte Mathematik, arbeitete während des Zweiten Weltkriegs als Meteorologe und erstellte Wettervorhersagen für die amerikanische Luftwaffe. Dies brachte ihn nach Ende des Krieges zum Studium der Meteorologie. Seine damalige Hoffnung war, dass man genauso gut das Wetter wie die Planetenbewegungen berechnen kann, wenn man nur genügend Computerleistung zur Verfügung hätte.

Rundungsfehler mit großer Wirkung
Daher konstruierte Edward Lorenz ein recht einfaches Wettermodell, das auf zwölf variablen Größen basierte. Dabei machte er eine erstaunliche Entdeckung, die wohl als das entscheidende Schlüsselerlebnis gelten kann: Er wiederholte nämlich eine Simulation mit Werten, die er bereits benutzt hatte. Zu seinem Erstaunen war das Ergebnis aber nicht einmal ansatzweise ähnlich.

Bei einer genauen Untersuchung fand sich schließlich die Ursache: Beim zweiten Lauf waren die Anfangsbedingungen auf drei Stellen nach dem Komma gerundet, während es bei der ersten Berechnung sechs Stellen waren. Dennoch war eine so große Abweichung auf Grund einer so kleinen Änderung mit den damaligen Theorien nicht vereinbar.

Geburt des Schmetterlingseffekts
Aus dieser Erkenntnis, dass bereits die kleinsten Veränderung der Ausgangssituation größte Effekte haben könnten, wuchs auch das Wissen, dass das Wetter nie korrekt vorhergesagt werden kann. In seiner Vorlesung vor amerikanischen Wissenschaftlern im Jahre 1972 mit dem Titel "Modelle für unstabile aperiodische nonlineare dynamische Systeme" gebrauchte er als Einleitung ein Bild, das heute berühmt ist:

"Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?"

Aus dieser Aussprache wurde Lorenz' Vortrag hauptsächlich als "Schmetterlingseffekt" bekannt. Er zeigte hierin auch, dass der Schmetterling es tatsächlich kann, wies aber immer wieder darauf hin, dass man seine Aussage nicht falsch verstehen dürfe. Dies bedeute nämlich nicht, dass nonlineare dynamische Systeme wie das Wetter unvorhersagbar seien. Denn was der Schmetterling kann, das muss noch nicht wirklich passieren. Es sei nämlich noch nicht bewiesen, ob ein Schmetterling tatsächlich über den Äquator hinweg einen Hurrikan auslösen könne, dies müsse noch untersucht werden.

Preisgekrönte, "seltsame" Attraktoren
Dass das (mathematische) Chaos auch eine Struktur hat, bewies er mit den so genannten Lorenz-Attraktoren. Dabei wurden die Ergebnisse einer chaotischen Gleichung für leicht unterschiedliche Anfangsbedingungen in einem dreidimensionalen Graphen aufgetragen, wobei ein Punkt im Raum einem Ergebnis entspricht (Abb. 1).

Obwohl nun also völlig unvorhersagbar ist, an welcher Stelle ein Punkt erscheinen wird, so bildet doch die Gesamtheit aller Punkte eine Kurve, die sich selbst nie schneidet. Die Ergebnisse streben also alle einem Grenzwert zu, dessen Dimension nicht ganzzahlig, sondern rational (mit Nachkommastellen, man sagt auch: fraktal) ist. Diese fraktalen Attraktoren bezeichnete Lorenz als "seltsame Attraktoren" und erhielt hierfür 1991 den Kyoto-Preis als "dramatischste Veränderung der Naturwissenschaften".

Das Apfelmännchen: Die Weiterentwicklung der Chaos-Theorie
In den 80er und 90er Jahren erfuhr diese Chaos-Theorie durch die sich explosiv entwickelnde Computertechnologie ihren Höhepunkt. Immer mehr wurden die Gesetze entdeckt und computergraphisch dargestellt, die im mathematischen Chaos zu finden waren. Besonders ästhetisch und faszinierend ist bis heute dabei die Darstellung der so genannten Mandelbrotmenge (von Benoît Mandelbrot), die als "Apfelmännchen" berühmt wurde. Faszinierend deswegen, weil hier viele Dinge wiederzufinden sind, die man auch aus der Natur kennt.

Dabei ist das zugrunde liegende Bildungsgesetz für die Folgenglieder der Mandelbrotmenge

zn+1 := zn2 + c

sehr einfach. Entscheidend ist aber, dass die komplexen quadratischen Folgenglieder rekursiv definiert sind, das heißt, dass dem nächste Folgenglied das Ergebnis seines "Vorgängers" zugewiesen wird. So oder ähnlich müsste man nun auch verfahren, wenn man eine Wettervorhersage immer weiter in die Zukunft rechnen möchte. Trägt man nun die Menge aller Zahlen, für die es einen "seltsamen Attraktor" gibt, graphisch auf, so erhält man das berühmte Apfelmännchen, das in Abb. 2 zu sehen ist.

Chaos-Theorie und beliebig lange Küsten
Besonders faszinierend ist es, wenn man die Randbereiche des Apfelmännchens immer weiter vergrößert, wie es in diesem Video geschieht (ist dabei das letzte Bild so groß wie Ihr Monitor, so wäre die gesamte Mandelbrotmenge, also das erste Bild, größer als das bekannte Universum). Man erkennt, dass es bei extremer Vergrößerung der Randbereiche wieder Regionen gibt, in denen sich komplette Apfelmännchen zeigen (Prinzip der Selbstähnlichkeit).

Schaut man sich einen Baum in der Natur an, so erkennt man ebenfalls, dass ein größerer Ast wieder die Form des Baumes hat, der kleinere Ast ähnelt dem größeren und sogar die Adern des Blattes haben die geometrisch ähnliche Form des Baumes.

Auf die fraktalen Eigenschaften der Natur stößt man auch, wenn man eine Küstenlinie abmessen möchte. Die Länge nimmt dabei immer mehr zu, aus je größerer Nähe man sich die Küste betrachtet und je mehr Feinheiten (zuerst Felsen, dann Kieselsteine und so weiter) man in seine Messung mit einbezieht. Es ist demnach gar nicht möglich, die exakte Länge einer Küste zu bestimmen, man kann aber trotzdem eine Struktur aus der Entfernung erkennen.

Nicht der erste, aber der wichtigste
Die Chaos-Theorie hat das Verständnis über die Natur und damit auch viele Bereiche der Naturwissenschaften revolutioniert. Als Entdecker der Chaos-Theorie gilt Lorenz allerdings nur zum Teil, denn bereits Henri Poincaré hatte nach der Entdeckung des Planeten Neptun 1848 versucht, die Stabilität unseres Sonnensystems zu beweisen, was ihm aber nicht gelang. Stattdessen entdeckte der die Chaostheorie.

Diesem Hinweis, der von Lorenz stammt, wird namentlich im Lorenz-Poincaré-Plot gedacht, mit dem anormale Herzrhythmusstörungen untersucht werden.

Chaos-Theorie in allen Wissenschaften
Die Chaos-Theorie findet mittlerweile in vielen Wissenschaftszweigen Anwendung, angefangen von der Mathematik und Physik bis hin zur Medizin, der Bewegungsvorhersage von Menschenmassen und der Entwicklung von Börsenkursen. Und nicht zuletzt verdanken wir Meteorologen Edward Lorenz die Erkenntnis, dass die Wettervorhersage nie exakt vorhersagbar, aber sehr wohl immer besser annäherbar sein kann.

 

 

Weiterführende Quellen:

  • Extreme Vergrößerung eines Apfelmännchens, Video
  • Ausgebremst: Formeln für den Stau, Zeit, Link
  • fraktale-online.de
  • Fraktale Phantastik, Ästhetik von Fraktalen, Link