Aus dem Gleichgewicht
Die Temperaturverteilung über Europa wird im Verlauf dieser Woche zunehmend untypisch werden - während es im Südosten deutlich zu warm werden wird, geht es in Westeuropa ungewöhnlich kühl zu. Wir berichteten bereits gestern und vorgestern über mögliche Folgen, heute wollen wir uns etwas mehr mit den Ursachen beschäftigen.
Die beste Übersicht über die ungleichmäßig verteilten Temperaturen hat man dabei, wenn man mittels unserer App MeteoEarth die Welt mit seinen Fingern dreht und den Kartenausschnitt auf Europa einstellt. In Abb. 1 ist ein Screenshot davon zu sehen, dort gezeigt werden die Temperaturen über Europa am Donnerstagmittag. Zu sehen ist, dass es dabei nicht wie zu erwarten wäre von Nord nach Süd, sondern von West nach Ost über Europa wärmer wird.
Dementsprechend dürften so einige enttäuscht werden, die sich eventuell zu den Pfingstferien in typische Urlaubsregionen machen werden. Tagestemperaturen um 16°C auf Mallorca zum Beispiel, gepaart mit teils kräftigen schauerartigen Regengüssen (Abb. 2) lassen wohl kaum den Erholungstag am Strand zu. Man beachte auch die Signale für unwetterartige Regengüsse im Südstau der Alpen über Norditalien.
Am Mittelmeer teils deutlich kühler als in Berlin
Beeindruckend in diesem Zusammenhang ist auch der Vergleich der Wettervorhersagen von WeatherPro für Berlin und Marseille an der Côte d'Azur (Abb. 3): Sommergefühle kommen dabei eher im Osten Deutschlands als am westlichen Mittelmeer auf.
So viel zu den zu erwartenden Auswirkungen beim Wetter im Verlauf dieser Woche. Doch wie kommt es zu so einer ungewöhnlichen Lage? Um die Vorgänge besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick in größere Höhen, etwa 18 Kilometer über dem Erdboden, in die so genannte Stratosphäre. Früher schenkte man diesen Höhen für die Wettervorhersage keine Beachtung, weil man der Auffassung war, die Vorgänge dort hätten für das Wetter nur wenig Bedeutung.
Ursachenforschung in großer Höhe
Das hat sich seit dem Jahrtausendwechsel geändert. Mittlerweile weiß man, wenn auch noch nicht im Detail, dass von der Höhe her sehr wohl das Wetter beeinflusst wird. Und zwar sowohl kurzfristig als auch makroskalig, also über eine größere Fläche und einen größeren Zeitraum. Vor allem in mittleren und hohen Breiten ist dies der Fall, an dieser Stelle sei noch unser Beitrag über die plötzliche Stratosphärenerwärmung (SSW) empfohlen. Dort wurde auch erklärt, dass eine plötzliche Erwärmung in großer Höhe auch die Westdrift in der darunter befindlichen Troposphäre schwächt, also dort, wo unser Wetter "entsteht".
Dabei gerät der Polarjet aus dem Gleichgewicht. Auch über diesen hatten wir bereits mehrfach berichtet. Ein Jetstream ist ein Starkwindband, das von West nach Ost um die Erde weht, es ist ein Ausgleichswind an der Grenze unterschiedlicher Luftmassen. Wichtig ist vor allem der Polarjet zwischen polarer und subtropischer und der Subtropenjet zwischen subtropischer und tropischer Luft. Diese Jets stellen gewissermaßen die Autobahn für die Bodentiefs dar und bestimmen damit auch unser Wetter.
Polarjet und Schneerekorde
Weht der Polarjet "straff" von West nach Ost um den Globus, so ist das Wetter so, wie wir es erwarten. Im Sommer ziehen dann häufig Tiefs über Nordeuropa, von denen wir zeitweise auch mit Ausläufern bedacht werden. Über Südeuropa kann sich meist die Sonne zeigen, Regen fällt dort im Sommer im Bereich des Subtropischen Hochdruckgürtels nur selten.
Aktuell ist der Polarjet aber stark ins Schlingern geraten, er mäandriert stark, schert also stark nach Nord und Süd aus. So geschah es zum Beispiel auch Anfang Mai in den USA, wodurch es zu einem Schnee-Ereignis historischen Ausmaßes kam, da durch das starke südliche Ausscheren des Polarjets die Kaltluft ungewöhnlich weit nach Süden vorankommen konnte.
Ganz ähnlich, wenn auch mit anderen Auswirkungen, sind nun die Vorgänge, die sich in dieser Woche über Europa abspielen. Wir sehen in Abb. 4 die Prognose für Temperatur und Geopotenzial der Stratosphäre in rund 18 km Höhe. Deutlich erkennbar ist, wie weit die "Erwärmung" über Westeuropa nach Süden vorankommt. Ihm folgt nun auch der Polarjet, diesen sehen wir anhand der Windgeschwindigkeiten in rund 8 bis 9 km Höhe in den Abb. 5 bis 7. Dabei kommt es zu einem seltenen Ereignis: Der Polarjet "beult" sich so stark nach Süden aus, dass er über dem Nordwesten Afrikas auf den Subtropenjet treffen wird (Abb. 7)!
Explosive Situation
Dadurch entsteht eine explosive Situation mit erheblichem Potenzial für Unwetter. Wir versuchen zu skizzieren, was dort vor sich geht: auf der linken Seite östlich dieser "Kollisionsstelle" strömt in der Höhe die Luft auseinander, es kommt zu einem Masseverlust, der auszugleichen versucht wird. Dies kann nur durch ein Aufsteigen der Luft vom Boden her geschehen. Dadurch sinkt dort der Luftdruck, es wird also wahrscheinlich die Entstehung eines Tiefs über Nordafrika eingeleitet, das sich an dieser Stelle unter sehr günstigen Bedingungen rasch entwickeln kann.
Der Zugweg dieses Tiefs wird dann der "Autobahn" in der Höhe, dem Polarjet, folgen und gegen die Alpen gedrückt werden - Folge sind heftige Stauniederschläge auf der Südseite. Danach könnte sein Weg östlich um die Alpen herum führen, diese Zugbahn ähnelt einer Vb(= "fünf B")-Bahn. Die Warmluft wird um das Tief herum über den Osten herangeführt und prallt dort auf die deutlich kältere Luft im Westen. Dadurch können heftige Gewitter entstehen, aus heutiger Sicht mit größtem Unwetterpotential hierzulande nach Osten und Norden hin. Für Details ist es allerdings noch zu früh, für die Wochenendplanung sollte man aber bereits im Hinterkopf behalten, dass die Unwettergefahr recht hoch ist. Besitzer von WeatherPro werden mittels Unwetterwarnungen dabei rechtzeitig auf Smartphone oder Tablet informiert.