Kalter Winter?
Kalendarisch befinden wir uns noch im Sommer. Erst am kommenden Freitag, 23. September 2011 um 11:04 Uhr MESZ ist astronomischer Herbstanfang. In seinem Vorfeld tauchen in den Medien bereits erste Herbst- und sogar Winterprognosen auf. Doch was lässt sich seriöserweise zum Wetter in den nächsten Monaten sagen?
Großes Interesse an Langfristprognosen
Gerade zur Zeit des Herbstanfangs, aber auch zum Frühling werden dabei häufg Prognosen über die bevorstehenden "großen Jahreszeiten" Winter bzw. Sommer veröffentlicht. Das Interesse daran ist verständlich, möchte man doch beispielsweise den Urlaub planen oder über den voraussichtlichen Verbrauch von Heizöl, Gas oder Kaminholz Bescheid wissen.
Ebenso verständlich ist, dass populäre Medien, allen voran Boulevardzeitungen und entsprechende Fernsehmagazine, dieses Interesse bedienen möchten. In ihrem Interesse liegt die Auflagenstärke oder Zuschauerzahl, und diese soll dadurch erreicht werden, dass eine möglichst präzise Wettervorhersage - im Idealfall bereits für bestimmte Tage wie Weihnachten - präsentiert wird.
Meteorologie und Chaos
Auf der anderen Seite steht die Meteorologie, die Wissenschaft der Physik der Atmosphäre. Sie befasst sich mit dem Zustand dieses sehr komplexen Systems, gekoppelt zudem an äußere Einflüsse wie zum Beispiel die Temperatur der Ozeane. Vielen ist wahrscheinlich bekannt, dass das System Atmosphäre/Ozean chaotischer Natur ist. Bereits Lorenz erkannte, dass bereits geringe Abweichungen eines Ausgangszustands enorme Unterschiede in der Zukunft zu Folge haben (man denke an das oft bemühte Beispiel des Flügelschlags eines Schmetterlings).
In Anbetracht der geringen Dichte der Wetterstationen auf den Ozeanen, zwangsläufig auftretender Messfehler der Instrumente und der unüberschaubaren Vielzahl an Wechselwirkungen, die innerhalb der Atmosphäre und nach außen hin auftreten, kann man es nur als sehr große Leistung bezeichnen, dass man das Wetter für die kommenden 24 Stunden zu über 90% Trefferquote vorhersagen kann.
Unseriöse Langfristprognosen
Zwischen dem berechtigten Interesse an der Witterung im nun kommenden Herbst oder Winter auf der einen Seite und der Machbarkeit auf der anderen herrscht also ein Spannungsfeld. Dieses machen sich nun einzelne Anbieter zunutze, um dem Anschein nach präzise Wetterinformationen für die kommenden Monate zu liefern.
Derartige Prognosen bestehen meist aus einer Temperaturkurve, die flankiert ist von Symbolen charakteristischer Wetterzustände. Insgesamt wird dem Leser oder Zuschauer also der Eindruck vermittelt, man wisse genau, wie in unserem Beispiel der zeitliche Temperaturverlauf im Dezember 2011 aussieht.
Doch Prognosen dieser Art können nur als unseriös bezeichnet werden. Denn durch die oben beschriebenen Unsicherheiten nimmt auch die Treffsicherheit einer Vorhersage bereits im Verlauf der ersten Tage spürbar ab. Vielmehr klappt ein Bereich an Wahrscheinlichkeiten auf, in dem sich beispielsweise die Temperaturen bewegen können.
Neue Vorhersagemethoden versuchen nun, diese Unsicherheiten mit zu berücksichtigen und haben zu einer deutlichen Verbesserung der Prognosen im mittel- und längerfristigen Bereich geführt, Stichwort sind hier die Ensembleprognosen, welche auch auf unserer Seite für die MeteoGroup-Standorte zur Verfügung stehen. Auch in die Wettervorhersage des Multi-Model MOS, dem Vorhersagesystem, das die Grundlage für die Prognosen bei der MeteoGroup darstellt, und bei der 28-Tage-Prognose für unser Energieportal MeteoPower (Abb. 1) gehen diese Informationen über die Eintreffwahrscheinlichkeit mit ein.
Seriöse Prognosen
Doch ist es andererseits nicht so, dass man keine Informationen über die Wettentwicklung auch über Wochenfrist hinaus hätte. Jedoch muss und sollte man dann nicht mehr von "dem Wetter" reden. Es geht in der Langfristprognose eher um mögliche Abweichungen von langjährigen Mittelwerten (zum Beispiel der Temperatur) und um mehrere Wetterlagen, die zu gewissen Wahrscheinlichkeiten eintreten können.
Es sollte aber auch sofort klar sein, dass man mit der Aussage: "Der Dezember wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 55% etwas wärmer als im Mittel der Jahre 1961 - 1990" keinen Skiurlaub planen kann. Jedoch sind derartige Informationen zum Beispiel für den Energiemarkt von hohem Wert. Schauen wir uns also eine Langfristprognose an dem aktuellen Beispiel an:
Wie wird der Herbst?
Das so genannte Ensemblemittel (Abb. 2) zeigt Mitteleuropa zum Ende des Monats September zwischen zwei Tiefdruckschwerpunkten zwischen Grönland und Island sowie Westrussland. Dazwischen scheint sich für Deutschland Hochdruckeinfluss durchzusetzen, dies gilt besonders nach Süden hin. Damit ist mit ruhigem Wetter zu rechnen, wobei die Temperaturen bis zu 5 Grad über den langjährigen Mittelwerten liegen können. Die Vorhersagewahrscheinlichkeit für ruhiges und zu warmes Wetter zum Ende des Monats liegt bei 80 bis 90%.
Darüber hinaus wird es zunehmend unsicher. Eine ähnliche Druckkonstellation zwischen Atlantik und Osteuropa gab es in den Jahren 1874, 1879, 1946, 1948, 1954, 1963 und 1964. In der Mehrzahl dieser Fälle hat dies zu einer eher wechselhaften ersten Oktoberhälfte geführt, wobei die Temperaturen zu 60% Wahrscheinlichkeit im Bereich der langjährigen Mittelwerte oder nur geringfügig darüber liegen dürften.
Auch für den November gibt es eine Wahrscheinlichkeitsanalyse, die unser Kollege Marco Radke-Fretz für Berlin aufgestellt hat (Abb. 3). Demnach war in einer Vielzahl der Jahre mit einer ähnlichen Vorwitterung wie jetzt der November zu mild. Die Wahrscheinlichkeit hierfür liegt dabei gerade noch bei 55%.
Wie wird der Winter?
Abgesehen von dieser rein statistischen Betrachtung gibt es jedoch auch weitere Vorhersagesysteme, die versuchen, die weitere Entwicklung der kommenden Monate abzubilden. Eines davon ist das Climate Forecast System des amerikanischen Vorhersagezentrums NCEP. Es geht für die Wintermonate von unterdurchschnittlichen Temperaturen aus. Allerdings fällt die Prognose nicht so deutlich aus, wenn man die jüngsten Ausgangsbedingungen zugrunde legt (Abb. 4). Vergleicht man diese Prognose in Abb. 4 mit der, die auf Grundlage der Bedingungen zum Ende des Augusts gerechnet wurde (Abb. 5), so scheinen die Indizien für einen zu kalten Winter abgenommen zu haben.
Fazit:
Insgesamt muss man jedoch anhand der Trefferquote dieser Langfristmodelle statuieren, dass diese sich noch in einem Experimentierstadium befinden und nur unwesentlich von einer reinen Zufallsprognose abweichen. Oder um es zusammenfassend zu sagen:
Während es einige Anzeichen dafür gibt, dass der Herbst etwas wärmer als normal ausfallen kann, weiß niemand, wie der Winter werden wird. Es gibt derzeit widersprüchliche Signale aus der Statistik und dem Ausgangszustand des Systems Atmosphäre/Ozean, die keine Vorhersage zulassen. Eine Prognose, die mit heutigem Stand den genauen Verlauf des Herbstes oder gar des Winters vorhersagen will, kann man daher nur als unseriös und wissenschaftlich nicht haltbar bezeichnen.