Schnee taut bei Dauerfrost?
Es fällt Schnee, tagelang herrscht leichter Dauerfrost, und dennoch sieht man, wie es langsam, aber beständig vor sich hin taut. Wie kann es sein, dass Schnee taut, obwohl die (Luft-)Temperatur zu keinem Zeitpunkt über Null Grad steigt? Das Stichwort heißt: Strahlung.
Nach diesem "Phänomen" wurden wir in den vergangenen Tagen häufiger gefragt. Es sind insbesondere Anfragen aus den Regionen im Osten und Süden Deutschlands, in denen in vergangener Zeit die Temperatur oft über Tage hinweg im leichten Minusbereich lag. Da dieses in der Südosthälfte auch in der kommenden Zeit wieder häufig der Fall sein wird, wollen wir dazu motivieren, das Fallen und das teilweise Verschwinden des Schnees genauer zu beobachten.
Temperatur nicht gleich Temperatur
Wie kann es also kommen, dass bei Höchsttemperaturen im Minusbereich Wasser in flüssiger Form existieren kann? Am wichtigsten ist zu wissen, dass Temperatur nicht gleich Temperatur ist. Oder besser gesagt: Nicht überall ist die Temperatur gleich. Wenn im Wetterbericht von "Höchsttemperatur bei -1°C" gesprochen oder geschrieben wird, so ist damit stets die Lufttemperatur gemeint. In der Meteorologie bedeutet das die Temperatur der unteren Atmosphäre in zwei Metern Höhe, die so gut wie möglich frei von anderen Einflüssen gemessen werden sollte. Dieses geschieht an den Wetterstationen in den weißen Wetterhütten.
Wer selbst ein Thermometer an seinem Balkon oder gar an der Hauswand abliest und diese Werte mit benachbarten Thermometern vergleicht, wird dabei sehen, wie unterschiedlich die dort angezeigten Temperaturen am gleichen Tag sein können. In den Wetterhütten sollen diese Störfaktoren ausgeschaltet werden, insbesondere die direkte Sonneneinstrahlung oder auch die Wärmestrahlung, die von Hauswand, Boden oder anderen Körpern abstrahlen können. Denn diese können deutlich von der Lufttemperatur abweichen. Und da sind wir schon beim Stichwort für unsere Schneefrage, nämlich der Strahlung.
Strahlung ist das Stichwort
Im Physikunterricht haben wir gelernt, dass die Sonne uns nicht direkt erwärmt. Vielmehr schickt sie kurzwellige Strahlung zum Erdboden, und dieser emittiert langwellige Wärmestrahlung. Die Wärme kommt also vom Boden her, warum es ja auf den Bergen in der Regel auch kälter ist.
Wir können diese Tatsache insbesondere an klaren Sommertagen fühlen: Bei recht angenehmen Temperaturen zwischen 25 und 30°C lässt es sich gut in der Liege aushalten. Laufen wir aber barfuß über zum Beispiel dunkle Steine, so verbrennen wir uns beinahe. Die Temperatur des schwarzen Untergrunds ist also deutlich höher als die Lufttemperatur zwei Meter darüber.
Doch nicht nur vom Boden wird Wärmestrahlung abgegeben, sondern auch von der Atmosphäre selbst wird die Wärme zum großen Teil wieder zum Erdboden zurückgestrahlt. Man spricht hier von atmosphärischer Gegenstrahlung. Insbesondere die so genannten Treibhausgase, in erster Linie Wasserdampf, aber auch Methan und Kohlendioxid, absorbieren und emittieren die Strahlung sehr intensiv.
###YOUTUBE###
Bewölkte Nacht gegen klare Nacht
Im Winter fällt diese Gegenstrahlung besonders in den Nächten auf. In einer klaren Nacht gibt der Erdboden seine Wärmestrahlung ab. Die Gegenstrahlung von den atmosphärischen Gasen ist dabei deutlich geringer, insbesondere, da ein großer Teil der Wärmestrahlung durch das so genannte atmosphärische Fenster (eine Lücke im Emissionsspektrum) in den Weltraum entweichen kann.
Die Folge ist, dass Oberflächen auf der Erde - dazu gehören neben Straßen auch Autoscheiben, Dächer, etc. - kälter werden als die Lufttemperatur. Teilweise sinken sie sogar unter den Taupunkt, also die Temperatur, bei der die Luft mit Wasserdampf gesättigt ist. Die Folge ist die Bildung von Tau oder bei negativer Temperatur von Reif.
In einer bedeckten Nacht dagegen geben die Wolken eine Wärmestrahlung ungefähr entsprechend der Taupunkttemperatur ab. Diese liegt dann nur knapp unterhalb der Lufttemperatur am Boden. Der Abstrahlung der Wärme vom Erdboden steht also die Gegenstrahlung von den Wolken gegenüber - in stark bewölkten Nächten sinkt daher die Temperatur kaum.
Darum kann Schnee bei Minusgraden tauen
Nun können wir auch die Frage beantworten, wieso Schnee bei Dauerfrost tauen kann: während wir an Wintertagen in der Luft in zwei Metern Höhe Frost messen, kann die Temperatur an Oberflächen in den Plusbereich steigen. Dies liegt daran, dass die kurzwellige Einstrahlung von der Sonne deutlich stärker vom Erdboden als von der Atmosphäre absorbiert wird. Dies kann selbst bei starker Bewölkung bereits funktionieren, wie wir in Abb. 2 und 3 am Beispiel der Glättemeldeanlage Culitzscher Höhe bei Chemnitz sehen: die grüne Kurve (Temperatur der Fahrbahnoberfläche) steigt in den Plusbereich, während in der Luft (rot) weiter Frost herrscht.
Noch ausgeprägter ist das Tauen bei Luftfrost dann bei aufgelockerter Bewölkung, wie im Beispiel in Abb. 4, Reichertshofen-Langenbruck (Landkreis Pfaffenhofen) zu sehen ist: Der Bedeckungsgrad liegt dort laut Prognose bei Glätte24 heute bei 4 bis 6 Achteln, die Sonne ist also zu sehen. Dementsprechend erwärmt sich die A9 heute dort auf knapp +5°C, während in der Luft etwas über -2°C erreicht werden. Dennoch kommt es zu Tauprozessen. Am Abend kehren sich dann die Strahlungsverhältnisse um, und man muss mit Glätte durch Gefrieren von Nässe rechnen.