Tornados in Skandinavien?
Während auch bei uns in Deutschland am heutigen Donnerstag (22.07.10) die Unwettergefahr gebietsweise recht hoch ist (siehe Wetternews gestern), kann man die Lage in Teilen Skandinaviens durchaus als noch brisanter bezeichnen. Besonders von der Mitte Schwedens bis zum Eismeer sind kräftige Gewitter und auch Tornados möglich.
Quendeline II
Grund ist auch hier das Tief Quendeline. Genauer gesagt ist die Ursache ein Kaltluftvorstoß, der momentan noch vom Europäischen Nordmeer bis vor die Westküste Norwegens weist und sich im Verlauf über Skandinavien nach Osten verlagern wird, so zumindest die Bedingungen in der Höhe. Am Boden erkennt man das zweite Tiefdruckzentrum von "Quendeline" heute Mittag über dem zentralen Skandinavien.
Feucht-warme Luft bis Lappland
In Abb. 2 ist "Quendeline II" markiert. Man beachte vor allem die Warmfront, die sich zum Mittagstermin schon in Lappland befindet. Hier wird sehr feuchte und warme Luft weit nordwärts verfrachtet, sozusagen "Gewitterluft", die nicht nur die entsprechende potenzielle Energie in sich trägt, sondern auch instabil ist. Ihr fällt es "leicht", aufzusteigen, wodurch sich kräftige Gewitter bilden können.
Man erkannte schon an den Wetterstationsmeldungen um 8 Uhr (Abb. 3) die hohe Luftfeuchtigkeit, die sich weit nach Norden schiebt, an den so genannten Taupunkten. Hohe Taupunkte sprechen für hohe Luftfeuchtigkeit, und Werte von 16°C sind zum Beispiel für das lappländische Rovaniemi schon bemerkenswert.
Reichlich Dynamik
Die Gewitter, die dabei entstehen, können nicht nur kräftig sein. Insbesondere entstehen sie auch in einer Umgebung, in der sich der Wind besonders in den unteren 3 Kilometern der Atmosphäre mit der Höhe sehr stark in Richtung und Stärke ändert. Diese Windscherung ist die Grundvoraussetzung für die Entstehung von Tornados, wobei der Aufwindbereich durch diese Scherung in Rotation gebracht wird.
Es können also am Tage bereits vom zentralen und nördlichen Schweden bis nach Nordfinnland einzelne, teils kräftige Tornados nicht ausgeschlossen werden. Aber auch abgesehen davon bergen die Gewitter reichlich Unwetterpotenzial. Das liegt an dem Wind selbst, der besonders in der Höhe immer weiter zunimmt.
Was passiert in der Höhe?
In Abb. 4 sehen wir diese Scherung in der Vorhersage eines Vertikalprofils, in dem die Änderung verschiedener Größen, vor allem von Temperatur und Wind, mit der Höhe abgebildet sind. Sie gilt für den mit "x" bezeichneten Ort in Abb. 5 für heute Nachmittag, 17 Uhr unserer Zeit. Man erkennt die hohe Luftfeuchtigkeit (blaue Taupunkt-Linie nahe an der roten Temperatur-Linie, die Luft ist beinahe gesättigt) und die starke Zunahme des Windes mit der Höhe, während er nach oben hin von Süd auf Südwest dreht.
Darüber weht ein so genannter Jetstreak von bis zu 200 km/h, also einem Bereich von Spitzenwindgeschwindigkeiten in einem Windband, das in etwa 9 km als Ausgleichswind zwischen den verschiedenen Luftmassen um unsere Erde weht (Abb. 5). Dieser passiert die Region im Laufe der kommenden Nacht nordostwärts, und auch in Höhen zwischen 3 und 5,5 km nimmt die Windgeschwindigkeit beim Durchschwenken des Troges Spitzenwerte von 100 km/h in 3 km Höhe (Abb. 6) und über 180 km/h in 5,5 km Höhe (Abb. 7) an.
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Auch Hagel und Orkanböen
Damit verbunden ist die Passage der Kaltfront von Westen her, an der der kräftige, schauerartige Regen entlang wandert. Bei derartigen Windbedingungen kann dabei leicht eine squall line entstehen, wobei neben Tornados auch die Gefahr von lokal begrenzten, geradlinigen Orkanböen besteht, so genannte Downbursts, die in ihrer Zerstörungskraft einem Tornado nur wenig nachstehen. Dieses wissen wir nicht erst seit entsprechenden Schäden vom 14.07. dieses Jahres.
Am Abend und in der Nacht ist also der Höhepunkt der Unwettergefahr erreicht, wobei man von Schweden bis weit nördlich zum Eismeer mit Gewittern und Tornados, aber auch Hagel, Orkanböen und gebietsweise enormen Niederschlagsmengen rechnen muss, insbesondere wenn ein MCS entsteht.
Wie so ein MCS, also ein "Gewittergebiet" aussehen kann, ist vielleicht nachvollziehbarer, wenn man sich die Dokumentation aus Hessen am 30.05.2008 über diesem Absatz zu Gemüte führt.