Fast-Hurrikan in Europa

'Grace' wurde fast ein Hurrikan. Der ungewöhnliche Tropensturm entstand nahe der Azoren. Drohen uns jetzt Hurrikane?

Seit dem Beginn der Satellitenbeobachtungen im Jahre 1960 wurde dabei noch nie ein Tropensturm registriert, der so weit nordöstlich auf dem Atlantik entstand. Dabei bildeten sich alle Merkmale, die man von Hurrikanen kennt, sogar das berühmte Auge mit der Eyewall, dem Bereich der höchsten Windgeschwindigkeiten.

Dabei wurden mittlere Windgeschwindigkeiten von 111 km/h und Windspitzen bis 139 km/h erreicht (Abb. 2). Damit befand sich der Tropische Sturm Grace nur knapp unterhalb eines Hurrikans der kleinsten Kategorie 1. Diese beginnt ab mittleren Windgeschwindigkeiten von 118 km/h.

Entstanden aus "gewöhnlichem" Tief
Grace entwickelte sich am 04.10.09 aus den Überresten eines Tiefs nordöstlich der Azoren (Abb. 3). Das Tief bewegte sich seit Tagen im Atlantikraum rund um die Inselgruppe mit seinem Zentrum und beschrieb dabei eine kreisförmige Bahn gegen den Uhrzeigersinn. 

Gekoppelt mit einem Höhentief verlor das System irgendwann seine frontalen Strukturen, so wie wir sie in unseren Breiten kennen (Warmfront, Kaltfront, Okklusion).

Stattdessen organisierten sich Schauer und Gewitter um ein Zentrum, und das National Hurricane Center in Miami stufte es daher als Tropischen Sturm ein. Besonders beeindruckend ist dabei die Bildung eines Auges im Zentrum, wie auf der Satellitenanimation zu sehen ist:

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Grace bekam damit seinen Namen am 05.10.09, 2 Uhr MESZ. Mittlerweile wurde Grace von einem außertropischen Tief aufgenommen (Abb. 4).

Nicht der nördlichste Tropensturm
Dabei muss gesagt werden, dass die Position mit 40,2°N, an der Grace als Tropischer Sturm klassifiziert wurde, zwar sehr weit nördlich ist und auch die nordöstlichste Position seit Aufzeichnungsbeginn. Es gab in der Vergangenheit aber auch ähnliche Systeme, die noch weiter nach Norden hin entstanden. Erst im Jahr 2008 entstand der Tropische Sturm Laura bei einer nördlichen Breite von 40,6°N.

Hurrikane in Europa?
Das knappe Verfehlen eines Tropensturms, der östlich an Portugal vorbeirauscht, wirft dabei erneut die Frage auf, ob Hurrikane in Europa möglich sind. In der Vergangenheit wurde stets gelehrt, dass für die Entstehung von Hurrikanen mindestens 26 bis 27°C warmes Meerwasser notwendig sind, um die erforderliche Energie für die organisierten Schauer und Gewitter bereitzustellen.

Heutzutage weiß man, dass das nicht stimmt. Dies wurde spätestens in der Rekord-Saison 2005 deutlich, als sich am 9. Oktober 'Vince' zu einem Hurrikan verstärkte (Abb. 6) und als Tropischer Sturm Andalusien erreichte mit enormen Regenmengen. Er entstand über nur 23°C warmem Wasser. Es kommt also weniger auf die Temperatur der Wasseroberfläche an, als vielmehr auf den Temperaturunterschied zwischen Wasser und darüber befindlichen Luftmassen.

Hurrikanartige Tiefs bisher
Hurrikanähnliche Tiefs, teils auch mit einem Auge im Zentrum, bilden sich dabei immer wieder in Europa, bevorzugt um diese Jahreszeit, wo Kaltluftvorstöße auf das noch warme Wasser treffen. Dieses ist zwar nicht so warm wie in den Tropen, jedoch ist die durch die Erdrotation erzeugte Corioliskraft nach Norden hin größer. Wenn sich der Wind mit der Höhe dabei nur wenig ändert, kann sich dabei bevorzugt über Mittelmeer und Schwarzem Meer hoch reichende Konvektion, also Schauer bzw. Gewitter, entwickeln und entsprechende Strukturen annehmen.

Derartige Tiefs wurden bereits in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts in Europa beobachtet. Abb. 6 zeigt ein solches System, aufgenommen am 27. September 2005 über dem Schwarzen Meer. Abb. 7 zeigt ein anderes hurrikanähnliches Gebilde am 1. Februar 2006.

Häufiger Hurrikane durch den Klimawandel?
Umstritten und bis heute ist nicht geklärt, ob Hurrikane oder deren Überreste häufiger Europa erreichen können, sollte die Globaltemperatur steigen. Vermutet wird grundsätzlich, dass sich nicht zwingend mehr, aber stärkere Hurrikane bilden werden.

Ob diese dann aber Europa erreichen, ist indes unklar. Limitierender Faktor wäre zum Beispiel, dass der subtropische Hochdruckgürtel sich weiter nordwärts verlagern würde. Denn dann müssten die Hurrikane entlang der Ostküste Nordamerikas weiter nach Norden - und damit über kälteres Wasser - um in den Westwindgürtel aufgenommen zu werden. Dies würde jedoch weit weniger Tropenstürmen gelingen.