Ende Juli war zu lesen, dass 97% des Grönland-Eises abgetaut seien - nicht die ganze Wahrheit
Grönland taut ab oder Grönland-Eis taut auf 97 Prozent seiner Fläche waren Schlagzeilen, die in den letzten Julitagen durch die Presse gingen. Es ging um die Beobachtung, dass in vier Tagen die Menge des schmelzenden Eises von 40 auf 97 Prozent gestiegen ist. Dies ließ bei vielen Lesern und auch einzelnen Journalisten den Eindruck entstehen, dass binnen vier Tagen das grönländische, drei Kilometer dicke Eis beinahe komplett verschwunden ist. Doch es verhält sich völlig anders, wenngleich diese Schmelze bemerkenswert ist, denn es sind 97% der Eisoberfläche angetaut und glücklicherweise nicht das ganze Eis!
Hintergrund ist ein Bericht der NASA über den neuen Negativrekord. Denn dass über 97% der Eisoberfläche zumindest angetaut sind, ist seit mindestens 120 Jahren wohl nicht vorgekommen. Selbst auf dem höchsten Punkt des grönländischen Eisschildes ist seit Mai die Temperatur ein paar Mal knapp über 0°C gestiegen, sodass die obere Eisschicht zu tauen begann. Dies ist der Punkt, der die Nachricht so besonders macht.
Klimawandel-Indikator
Der Eisschild in Grönland ist ein wichtiger Indikator für den Klimawandel und wird daher seit 30 Jahren ständig von Satelliten beobachtet und gemessen. Unter anderem wird registriert, wo die Temperatur an der Eisoberfläche für einige Momente im Jahr über 0°C steigt. Dies wird dann in Prozent der Gesamtfläche ausgedrückt. Aus dem Bericht der NASA geht hervor, dass im Mittel etwa 67 Prozent der Eisoberfläche für einige Zeit im Jahr antauen. In der Kalenderwoche 28 diesen Jahres (Mitte Juli) lag dann der Prozentsatz bei 97. Dieses an sich ist jedoch kein neuer Allzeit-Rekord. Aus Eisbohrkern-Untersuchungen geht hervor, dass so genannte Gesamtschmelz-Ereignisse etwa alle 150 Jahre vorkommen, das letzte Mal im Jahr 1889. Es handelt sich also schon um ein signifikantes Ereignis, keinesfalls aber um ein gesamtes Abschmelzen.
Ursache?
Grund für die Rekordwärme seit Ende Mai 2012 (an der Südspitze Grönlands 24,8°C am 29.05., neuer Wärmerekord) ist ein Hochdruck-System, das sich über Grönland festgesetzt hat. Immer wieder wird dieses Hoch mit warmer Luft aus dem Süden versorgt, und daher hat sich die Atmosphäre erwärmt, sowohl nahe der Oberfläche als auch in größerer Höhe. Ein Beispiel: In dem relativ niedrig gelegenen Ort Sdr. Strømfjord (53 m ü. NN), stiegen die Temperaturen vom 30.07. bis zum 01.08. auf Höchstwerte um 19°C (Abb. 2)!
Selbst am höchsten Punkt auf dem Grönland-Eisschild, an der Forschungsstation The Summit (ca. 3.200 m) lagen die Maxima vom 28. bis 30.07. nur knapp unter 0°C, momentan liegen sie wieder bei "nur" um -10°C.
Gletscher bricht
Viel mehr fällt eine weitere Beobachtung der NASA-Satelliten ins Gewicht, nämlich ein erneutes "Kalben" des Petermann-Gletschers im Norden Grönlands. Mit "Kalben" wird das Abbrechen eines Teils des Gletschers bezeichnet. In der folgenden Animation kann man sehen, wie ein Teil des Gletschers in das Meer hinaustreibt. Es ist 120 Quadratkilometer groß, das entspricht etwa der Größe von Kiel:
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Das Kalben von Gletschern ist dabei nichts Ungewöhnliches und kommt regelmäßig vor. Ungewöhnlich ist, dass der größte Petermann-Gletscher sehr schnell bröckelt: Er hat in den letzten paar Jahren mehr Eis verloren als in den 150 Jahren zuvor bis hin zum Aufzeichnungsbeginn, was von den Forschern hauptsächlich den steigenden Temperaturen zugeschrieben wird.
Komplettes Schmelzen dauert sehr lang
Wir haben es also schon mit einer beachtenswerten Situation zu tun. Inwiefern dies dem Menschen und dem von ihm verursachten Anteil am Klimawandel zuzuschreiben ist, bleibt jedoch weiter Gegenstand von Untersuchungen, da das Klima auch ohne unser Zutun immer im Wandel ist. Jüngst war beispielsweise das Ergebnis einer Eisbohrkernuntersuchung zu lesen, die ergab, dass vor Millionen von Jahren die Antarktis ein tropischer Regenwald war.
Das vollständige Abschmelzen des gesamten grönländischen Eises würde jedenfalls noch lange dauern. Steigt die Temperatur mit der gleichen Rate wie aktuell, so wären es laut Forscher und Arktis-Experte Jeff Ridley noch mehrere tausend Jahre. Dann würde allerdings auch der Meeresspiegel um sieben Meter steigen. Momentan wird davon ausgegangen, dass die aktuelle Eisschmelze aus Grönland zu etwa zehn zusätzlichen Zentimetern Meeresspiegelanstieg bis in das Jahr 2100 verantwortlich ist, genug, um die Gefahr für Überschwemmungen Sturmfluten an unseren Küsten zu erhöhen.