Hurrikane und Europa

10.09.2011 erstellt von Frank Abel

Forschungsergebnisse zeigen, dass Hurrikane das Wetter in Europa anders beeinflussen als vermutet

Die äußerst aktive Hurrikansaison geht weiter - bereits 15 Tropenstürme haben in dieser Atlantiksaison 2011 Namen bekommen, gleichzeitig treten im Norden Europas häufig Stürme auf, und auch das Wetter bei uns verläuft oft nicht so, wie es in der mittelfristigen Vorhersage den Anschein hatte. Aktuelle Forschungen untersuchen die Zusammenhänge - mit erstaunlichen Ergebnissen.

Mal schauerartiger Regen, immer wieder kräftige Gewitter und sowohl kurze schwül-warme wie auch häufige, teils deutlich kühle Abschnitte. Auch der Spätsommer gestaltet sich bei uns alles andere als traumhaft. Kaum ist eine Schönwetterphase angebrochen, ist das Ende schon wieder in Sicht.

Exemplarisch dafür steht auch das Wetter an diesem Wochenende - kaum macht sich die Sonne von Süden her breit, sind heute Abend in Richtung Ems und Rhein schon wieder die ersten Gewitter möglich. Und bei der prognostizierten Temperaturkurve von Freiburg im Breisgau erkennt man auch, wohin die Reise bei den Temperaturen geht: Nach 30°C Höchsttemperatur heute wird man sich nach Mitte kommender Woche eher unterhalb der 20er-Marke wiederfinden.

Grund für die derzeitige Erwärmung ist dabei das Sturmtief Frank, das zunächst noch auf seiner Vorderseite die warme subtropische Luft von Südwesten her nach Deutschland pumpt (Abb. 2). Während uns dann vom heutigen Abend bis zum Wochenbeginn mit Durchzug der Kaltfront die kühlere Luft zusammen mit teils kräftigem schauerartigen und gewittrigem Regen erreicht, setzt dann der Luftmassenwechsel mit den deutlich niedrigeren Temperaturen ein.

Ex-Hurrikan Katia sorgt für Unwettergefahr
###YOUTUBE###In der nebenstehenden Animation sehen wir dabei den ehemaligen Hurrikan Katia, der sich über den Atlantik auf die Britischen Inseln zu bewegt. Das Tief KATIA und das Tief FRANK werden dabei zu einem einzigen kräftigen Orkantief werden, das insbesondere im Bereich der Britischen Inseln für teils schweren Sturm und Starkniederschläge sorgen dürfte.

Aktuell hat sich KATIA in ein außertropisches Tief tranformiert (extratropical transformation = ET), man bemerkt seine tropische Herkunft jedoch noch durch den sehr hohen Wasserdampfgehalt (Abb. 3), von dem auch der zu erwartende starke Regen herrührt.

Hurrikane in Europa?
Man könnte also meinen, da der ehemalige Hurrikan über den Norden Europas zieht, dass sein Einfluss auf unser Wetter hier in Deutschland und Mitteleuropa gar nicht so groß ist. Doch das ist ein Trugschluss. Denn um den Einfluss von Hurrikanen auf unser Wetter beurteilen zu können, muss man bereits deutlich früher in ihrer Entwicklung ansetzen. Denn es ist nicht einmal der Hurrikan selbst, der die größte Extremwettergefahr nach Europa und Deutschland bringt. Es ist vielmehr die Kettenreaktion, die er bereits weit draußen auf dem Atlantik, unserer Wetterküche, in Gang setzt.

Hintergrundwissen: Jetstream und Vorticity
Dazu muss man wissen, dass unser Wetter in der Westwindzone maßgeblich durch wechselhaften Charakter geprägt ist. Das liegt daran, dass wir uns immer in der Nähe der Luftmassengrenze zwischen polarer und subtropischer Luft befinden. In der höheren Atmosphäre befindet sich aus physikalischen Gründen an dieser Grenze der so genannte Jetstream. In diesem kann es Starkwindbänder geben, die durchaus 300 km/h erreichen können.

Die zweite meteorologische Größe, auf die wir hier nicht verzichten können, ist die so genannte Vorticity, die man etwa mit Wirbelhaftigkeit übersetzen kann. Sie ist entscheidend für die Entstehung und Erhaltung von Hoch- und Tiefdruckgebieten auch am Boden. Wird positive Vorticity herangebracht, also bei uns Wirbelbewegungen gegen den Uhrzeigersinn, so entstehen Tiefs, im anderen Falle Hochs. Eine genauere Erklärung findet sich in unseren News Goldener Oktober.

Zurück zum Jetstream: Dieser kann entweder recht glatt von West nach Ost hinwegwehen, oder er weist größere Auslenkungen nach Süd und Nord auf, man sagt dann auch, dass er mäandriert. Je größer diese Auslenkungen sind, umso mehr weichen dabei auch die Temperaturen in unseren Breiten von den Normalwerten ab. Bei einer Auslenkung nach Süden, einem Trog, wird dabei positive Vorticity produziert, dahinter negative. Mit anderen Worten: die Tiefdruckproduktion über dem Atlantik wird angekurbelt. Doch was hat das mit den Hurrikanen zu tun?

Hurrikane beeinflussen Jetstream
Hurrikane nehmen oft den Weg an der Westflanke eines subtropischen Hochs vorbei nach Norden und Nordosten, wo sie also in die Westdrift aufgenommen werden und über den Atlantik in Richtung Europa ziehen. Dabei verwandeln sie sich in ein außertropisches Tief. Gegenstand der aktuellen Forschung ist nun der genaue Prozess, der sich im Bereich des Jetstreams, also in Nähe der Luftmassengrenze, abspielt.

Forscher am Karlsruher Institut für Technologie untersuchen genau diese Wechselwirkungen. Sie haben bei Untersuchungen am Taifun Jangmi herausgefunden, dass es eine deutliche Beeinflussung des Jetstreams durch ex-Wirbelstürme gibt. Dies geschieht dadurch, dass die feucht-warme Luft bis in großen Höhen transportiert wird, und zwar auf drei Wege: erstens durch direktes Aufsteigen aus mittleren Luftschichten (oberhalb der 500 hPa Druckfläche, im Mittel eine Höhe von 5,5 km) im Bereich des Kerns des ehemaligen Hurrikans. Zweitens unterhalb der mittleren Luftschichten durch Schauer und Gewitter, die auf der Vorderseite des ex-Hurrikans entstehen, und drittens aus tieferen Luftschichten durch langsames Aufgleiten. Die zwei aufsteigenden PV-Türme (PV = positive Vorticity) kann man auch aktuell am Beispiel von KATIA in den Profikarten der relativen Vorticity in rund 9 km Höhe, also etwa in Niveau des Jetreams, sehen (Abb. 4).

Mehr Orkane durch Hurrikane
###YOUTUBE###Durch Einbringen dieser Luftfeuchtigkeit wird nun der Jetstream sowohl beschleunigt als auch ausgelenkt (hier links auch am aktuellen Beispiel von KATIA gut zu sehen). Durch diese Auslenkung wiederum wird die Tiefdruckproduktion als auch -verstärkung auf dem Atlantik begünstigt. Zusammengefasst gesagt: Ex-Hurrikane selbst erreichen eher selten Europa. Ein außertropisches Tief schafft aber über dem Atlantik Bedingungen, die die Entwicklung von Orkantiefs begünstigen, die wiederum die Unwettergefahr für uns signifikant erhöhen. Eine aktive Hurrikansaison bedeutet also auch für uns in Europa eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Sturm- und Starkregenereignisse.

Dies ließ sich auch in der Historie nachweisen. Beispielsweise konnten Hoskins and Berrisford (1988) zeigen, dass der große Westeuropa-Orkan 1987 (Abb. 5) mit Hurrikan Mitch in Zusammenhang gebracht werden kann. Dieser Orkan mit einem Kerndruck von 955 hPa zog am 16. Oktober von der Biskaya nach Frankreich und erreichte mit bis zu 200 km/h den Süden Englands. Es entstand ein Sachschaden von umgerechnet gut 3 Milliarden Euro, in England und Frankreich starben 29 Menschen.