Winterprognosen seriös?

Nachrichten über einen uns bevorstehenden extremen Winter gehen derzeit um - was ist hiervon zu halten?

Gerade die Boulevardpresse hat bereits viele Namen für das, was nun auf uns zukommen soll. Da ist von einem "Horrorwinter" die Rede. Was ist von den derzeitigen Winterprognosen zu halten?

Von "Arktiswinter" bis "Zick-Zack-Winter"
Von mangelnder Kreativität im Umgang mit Superlativen kann derzeit im Hinblick auf die Langfristprognosen zum kommenden Winter wohl nicht die Rede sein. Es solle nach einem milden Start in den November einen extrem kalten Winter mit viel Schnee und Eis geben, auch von einem Schneechaos wurde bereits geschrieben. 

Eine andere Variante ist die Vorhersage eines herannahenden "Zick-Zack-Winters", in dem sich sehr milde und sehr kalte Phasen abwechseln. Auch von "Temperaturen bis zu -25°C" ist die Rede. Verständlich, dass die Angst bei einigen nun groß ist. Doch wie sicher können sich die "Wetterexperten", von denen hier die Rede ist, sein? Nicht so sehr, wie es den Anschein hat, wie wir gleich sehen werden.

Merkmale öffentlichkeitswirksamer Winterprognosen
Schaut man sich die derzeit durch die "Yellow Press" gehenden Prognosen an, so entdeckt man einige Gemeinsamkeiten: Sehr oft sind sie begleitet von der Darstellung einer Temperaturkurve, die mit Wetter-Piktogrammen bestückt ist. Diese Kurve reicht über den gesamten meteorologischen Winter bis in den März hinein. Oft ist diese Kurve, in verschiedenen Städteausgaben der Zeitungen abgedruckt, sogar identisch.

Nicht bezeichnet ist, um was für eine Temperatur es sich dabei handelt, auch nicht, für welchen Ort diese gilt. Dennoch wird beispielsweise ausgesagt, dass der Jahreswechsel bei -10°C stattfinden solle.

Was weiß man wirklich?
Diese Art der Winterprognose kann dabei nur als unseriös bezeichnet werden. Hinzu kommt, dass die Art, wie die jeweiligen Wetterdienste zu derartigen Erkenntnissen kommen, nebulös bleibt. Zwar bekommen die Vorhersagemodelle kreative Namen. Welche Daten welcher Quelle und auf welche Art dabei in diese einfließen, wird jedoch nie gesagt. Doch kann ein mittelständiger Wetterdienst ein autarkes Langfristmodell unterhalten?

Zur besseren Einschätzung hilft hier ein Blick in das Rechenzentrum des ECMWF (European Center for Medium-Range Weather Forecasts) in den Shinfield Park nach Reading, England, wo ein duales IBM Cluster (155 p5-575+) mit etwa 5.000 Skalar-CPUs bei 38 TFLOPS betrieben wird, um die Daten für die ECMWF-Modelle zu berechnen, deren Ausgabe auch in den Profikarten gefunden werden kann. Dieser Cluster steht derzeit unter den weltweiten Top 100 der Supercomputer, dicht gefolgt vom Deutschen Klimarechenzentrum. 

Das ECMWF wird dabei von dreißig Staaten in Europa finanziert und verkauft seine Ergebnisse an staatliche und private Wetterdienste. Es ist schlicht unvorstellbar, dass ein einzelnes mittelständisches Unternehmen auf eine derartige Rechenleistung zurückgreifen kann, um ein eigenes Modell zu betreiben - diese wäre jedoch notwendig.

Ist die gewonnene Information für die derzeit verbreiteten Langfristprognosen also nicht vollständig aus der Luft gegriffen, muss sie auf irgendeine Art auf diese bekannten Vorhersagemodelle zurückgreifen. Aber so oder so werden wir gleich sehen, dass sich niemand so sicher sein kann, wie denn der Winter werden wird, wie hier versucht wird, den Anschein zu machen.

Wie funktionieren Langfristprognosen?
Denn es darf nicht vergessen werden, dass jede Wettervorhersage keine 100% Weissagung, sondern immer eine Wahrscheinlichkeitsaussage ist. Man sagt also nicht, wie das Wetter wird, sondern man sagt, wie das Wetter am wahrscheinlichsten wird. Dies liegt darin begründet, dass die Atmosphäre ein chaotisches System ist. Schon kleine Änderungen oder Messfehler können große Auswirkungen auf die weitere Entwicklung haben, was sich mit jedem weiteren Tag im Vorhersagezeitraum deutlicher bemerkbar macht. 

Um dieser Tatsache gerecht zu werden, werden die größten Vorhersagemodelle nicht einmal, sondern viele Male hintereinander mit leicht veränderten Bedingungen durchgerechnet. Dabei ergibt sich ein Bündel von verschiedenen Ergebnissen. Je mehr diese Vergleichs-Vorhersagen  voneinander abweichen, desto kleiner wird die Eintreffwahrscheinlichkeit. Die Gesamtheit dieser Rechenläufe nennt man Ensemble, man erstellt also eine Ensembleprognose (auch zu finden unter den Profikarten). Um zu sehen, wie rasch dabei die Unsicherheit mit der Vorhersagedauer zunimmt, schauen wir uns diese Prognose am aktuellen Beispiel an:

Eintreffwahrscheinlichkeiten am aktuellen Beispiel
Wir sehen in Abb. 2 die oben angesprochenen Modellausgaben. Dargestellt ist die Prognose der Temperatur im 6-Stunden-Abstand für 15 Tage ab dem 27.10.2011, 14 Uhr MESZ des ECMWF. Dort wird ein operationeller Lauf (mit der größten Menge an Daten) und 50 Vergleichsläufe gerechnet. Es ist der operationelle Lauf, der auch in unseren ECMWF-Profikarten zu sehen ist. 

Wie ist das Ergebnis zu interpretieren? Die meisten Ensemblemitglieder befinden sich über den langjährigen Mittelwerten (gestrichelte Linie) - es geht also mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit deutlich zu warm in den November. Ab etwa dem 05.11.2011 nimmt die Streuung und damit die Unsicherheit zu, gleichzeitig erkennt man vermehrt kältere Lösungen zum Ende der Vorhersageperiode hin.

Etwas mehr Übersicht über die wahrscheinliche Temperaturentwicklung gewinnt man, wenn man sich den Median ansieht, also einen gewichteten Mittelwert. Dieser ist in Abb. 3 als dicke blaue Linie zu sehen. Auch diese ist bis zum 05.11.2011 deutlich über den Normalwerten, um danach auf diese zu sinken. Aber um es hier ganz klar herauszustellen: Wir haben bereits für den 06.11.2011 Abweichungen in der Prognose von über 10 Grad! (Noch deutlicher in Abb. 4 zu sehen.)

Doch man kann dennoch eine Vorhersage für diese Zeit machen - sie unterscheidet sich jedoch von einer Wettervorhersage für etwa den nächsten Tag. Wichtig wird bei mittel- und langfristigen Prognosen nämlich, die Eintreffwahrscheinlichkeit zu berücksichtigen. Um diese zu quantifizieren, schaut man sich an, wie viele der Ensemblemitglieder über bzw. unter den langjährigen Werten liegen. 

So kann man beispielsweise sagen, dass mit einer ungewöhnlich hohen Wahrscheinlichkeit von 80% die erste Novemberwoche wärmer bis deutlich wärmer als normal ausfallen wird. Ab der zweiten Dekade gibt es nur noch eine Wahrscheinlichkeit von etwa 60% von etwas zu hohen Temperaturen, einzelne Berechnungen deuten auch auf deutliche Kaltlufteinbrüche hin. Das Wahrscheinlichste sind jedoch Temperaturen, die nicht weit von den Normalwerten entfernt sind. Jegliche Prognose darüber hinaus ist dann für die Alltags-Anwendung nicht mehr brauchbar und eher nur für Spezialanwendungen wie zum Beispiel Energieunternehmen von Interesse. Ansonsten wird die Eintreffwahrscheinlichkeit zu klein, um seriöse Aussagen machen zu können.

Was kann man sagen?
Sehr wahrscheinlich startet der November deutlich zu mild, bestenfalls sind auch neue Wärmerekorde an einzelnen Orten möglich. Nach der ersten Woche deutet sich ein Temperaturrückgang an. Signifikante Anzeichen für extreme Wetterbedingungen gibt es bisher nicht.

Fazit
Wie der Winter wirklich verlaufen wird, wissen weder wir noch irgendjemand sonst zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Weder sind Aussagen über Weihnachten, noch über Silvester/Neujahr und erst recht nicht darüber hinaus sinnvoll. 

Jede Prognose, die den Anschein erwecken möchte, die genaue Wetterentwicklung - schon erst recht innerhalb des übernächsten Monats - vorhersagen zu können, kann man nur als unseriös und unbrauchbar bezeichnen.

Eine Prognose sollte zumindest nachvollziehbar sein, zum Beispiel einem Ort zugeordnet werden können. Aussagen wie "es werden bis zu -25°C erreicht" wären für hochalpine Täler keine besonders aufregenden Neuigkeiten, für Helgoland dagegen sehr. Auch ein "Zick-Zack-Winter" ist ebenso wie ein "Zick-Zack-Sommer" in unserer Klimazone der Normalfall - Über die gesamte Dauer zu milde oder zu kalte Jahreszeiten sind eine extreme Ausnahme in Deutschland!

Ab einer gewissen Unsicherheit in der Vorhersage sollten sowohl die Eintreffwahrscheinlichkeit als auch alternativ mögliche Wetterentwicklungen genannt werden. Sinnvoller ist es hier, mit Begriffen wie "wärmer als normal / deutlich wärmer (kälter) als normal" oder auch beispielsweise "0,5 bis 1 Grad über (oder unter) Normal" zu operieren. Zu einer seriösen Prognose gehört es unseres Erachtens auch, dass zumindest die Quelle der verwendeten Modelldaten genannt wird. 

Jedenfalls gibt es keine konkreten Hinweise auf extreme Wetter-Entwicklungen, darum ist Panik oder Angst vor dem kommenden Winter aus heutiger Sicht auch vollkommen unbegründet.