Extrem wenig Meereis - Folgen für unseren Winter?

19.11.2016 erstellt von Frank Abel

Derzeit herrscht extreme Armut an polarem Meereis, weltweit. Dies könnte auch Auswirkungen auf unseren Winter haben:

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  • ECMWF-Ensemble Temperaturanomalien 850 hPa
  • Temperaturabweichungen 850 hPa Analyse ECMWF + Skizze für Winter

Gegenwärtig sollte sich in der Arktis nun wieder Meereis bilden. Doch wächst die Eisbedeckung nur sehr langsam. Der Mangel an polarem Eis ist derzeit weit hinter allem zurück, was seit Aufzeichnungsbeginn beobachtet wurde, und das gilt nicht nur für die Arktis, sondern auch für die Antarktis. Dies bleibt auch nicht ohne Folgen für den Winter in Deutschland. Die Frage ist: Wie könnten diese aussehen?

Historischer Niedrigstand an Meereis

Seit Beginn regelmäßiger Überwachung der Eisbedeckung mittels Satelliten im Jahr 1978 wurde um diese Zeit im Jahr nicht einmal annähernd eine so geringe Eisfläche beobachtet wie derzeit. Diese beträgt laut U.S. National Sea Ice Data Center 17,5 Millionen Quadratkilometer, Arktis und Antarktis zusammengenommen. Der mittlere Novemberwert liegt dagegen bei 21,5 Millionen Quadratkilometern. Und selbst der alten Negativrekord aus dem November mit etwa 20 Millionen Quadratkilometer liegt noch deutlich über den derzeit beobachteten Werten. Man kann also von einem Meereis-Mangel historischen Ausmaßes sprechen.

Betrachten wir die für unser Klima unmittelbar verantwortliche Arktis, so stellt sich die Frage: Wie kommt es zu diesem Mangel? Die Antwort liegt in dem derzeitig ungewöhnlichen Zirkulationsmuster in der Nordhemisphäre, ungewöhnlich zumindest gemessen an den langjährigen Mittelwerten. Denn anstatt dass eine recht "glatte" Westwinddrift über dem Nordatlantik herrscht, macht der Polarjet recht große Auslenkungen nach Nord und Süd, er mäandriert. Der Polarjet ist ein der Starkwindband in der Höhe, das an der Grenze zwischen polarer und subtropischer Luft von West nach Ost über unseren Planeten zieht. Im Mittel der Klimareferenzperiode 1961-1990 war diese Strömung in den meisten Fällen recht "glatt", die Folge für uns in Mitteleuropa ist das typisch wechselhafte Wetter mit gemäßigt temperierten Wintern und Sommern.

Derzeit aber beobachten wir immer häufiger so genannte meridionale Wetterlagen, bei denen der Polarjet starke Auslenkungen nach Nord und Süd aufweist, er mäandriert. Da der Jet die Zugbahn der Tiefs und Hochdruckregionen bestimmt, bedeutet dieses Mäandrieren, dass häufiger blockierende Wetterlagen auftreten, bei denen sich die Luftmassen länger dort aufhalten, wo sie gewissermaßen "nicht hingehören". Die Folge sind für die jeweiligen Regionen für längere Zeit ungewöhnliche Temperaturabweichungen, mal viel zu mild, mal viel zu kalt. Und so wurde und wird derzeit die Eisbildung in der Arktis durch eine südliche Anströmung deutlich gebremst bei Temperaturen, die (in etwas mehr als 1 km Höhe) 10 bis 13 Grad über den langjährigen Mittelwerten liegen!

Warme Arktis = kalter Winter?

Was für Folgen hat nun das großflächige Verschwinden von Meereis-Flächen in einer ungewöhnlich warmen Arktis auf unseren Winter hier in Deutschland? Die Klimaforschung hat dabei mittlerweile einen starken Verdacht, wenngleich noch keinen wasserdichten Beweis. Bis hierhin: Die Luft über dem Meereis kühlt sich stark ab. Damit gibt es einen großen Temperaturunterschied zwischen den Luftmassen über dem Eis und denen über dem angrenzenden, milderen Meerwasser. Dieser Temperaturunterschied sorgt für einen Wirbel, der um den Nordpol herum in östlicher Richtung weht, den so genannten Polarwirbel.

Ist der Polarwirbel stark genug, so kann er die sehr kalte, polare Luft in seinem Inneren "gefangen halten" - weder kommt die mildere Luft der mittleren Breiten bis zur Arktis voran, noch kommt die polare Kaltluft gut südwärts voran, zum Beispiel in Richtung eurasischem Kontinent. Bei kleinerer Eisfläche ist der Temperaturunterschied kleiner, die Barriere geschwächt. Der Polarwirbel ist schwächer, teils spaltet er sich. Dadurch sind nun Warmluftvorstöße in Richtung Nordpol einerseits und Kaltluftausbrüche von der Arktis nach Süden andererseits möglich. So beobachtete man in der Vergangenheit häufiger ein früheres Einsetzen von Schneefall in Sibirien und nachfolgend ungewöhnliche Kälte.

Erste Anzeichen vorhanden

Und so auch in dieser Saison: Das Kältehoch, das sich derzeit über dem zentralen Asien befindet, ist beeindruckend stark mit einem Luftdruck bis zu 1065 hPa. In seinem Bereich liegt die Temperatur derzeit teils mehr als 15 Grad unter den Durchschnittswerten. So meldete die Wetterstation Rinchinlhumbe in der Mongolei in der Nacht zum Samstag einen Tiefstwert von -42,5 Grad und mehrere Wetterstationen auf der anderen Seite der Grenze hin zu Russland meldeten Minima um -40 Grad.

Dementsprechend baut sich östlich von uns derzeit ein beeindruckender Kälteblock auf. Bei der derzeit geschwächten Westdrift ist die Wahrscheinlichkeit nun erhöht, dass diese schwere und träge Kaltluft sich westwärts in Bewegung setzen kann, und damit erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit für einen kalten Winter in Deutschland. Tatsächlich erinnert die aktuelle Vorgeschichte etwas an das Ende des Jahres 2009, wo die atmosphärische Zirkulation ähnliche Muster aufwies. Und wie einigen vielleicht noch bekannt ist, fiel der Winter 2009/2010 um etwa 1,4 Grad kälter als im Mittel aus.

Fazit: Kann, aber muss nicht

Muss man sich nun auf einen extrem kalten oder extrem milden Winter bei uns einstellen? Von beiden Versionen war ja in den Medien bereits die Rede. Tatsache ist, dass man nach wie vor nicht konkret sagen kann, wie sich der Winter auf lange Sicht weiter entwickelt. Die Wahrscheinlichkeit für einen markanten Kaltlufteinbruch von Osten her ist jedenfalls höher als sonst. Allerdings sollte man auch im Hinterkopf behalten, dass die Wetterlage auch zur Blockierung neigt. Es ist also ebenso denkbar, dass wir uns ständig auf der Vorderseite kräftiger Tiefs vom Atlantik befinden und mit südwestlicher Strömung über längere Zeit ungewöhnlich milde Luft herangeweht bekommen.

Die unwahrscheinlichste aller Varianten ist jedenfalls ein Durchschnittswinter, die wahrscheinlichste ein Winter mit großen Temperaturschwankungen. Ob dieser Winter nun über lange Strecken viel zu kalt oder viel zu mild werden wird, bleibt abzuwarten. Derzeit schlägt das Pendel nach ein oder zwei Mildphasen in diesem Monat eher in Richtung unternormale Temperaturen ab Monatsende. Der Rest ist und bleibt Spekulation.